Rückblick Inncontro 2022: Belonging

Zum 5. Mal fand von 17.-19. November 2022 das Inncontro Film Festival im Leokino Innsbruck statt. Schwerpunkt der diesjährigen Ausgabe waren Perspektiven auf das Thema „Belonging“, Fragen von (Mehrfach)Zugehörigkeiten, Identitäten im Kontext von (Post)Migration. 

Fünf Spiel- und Dokumentarfilme ermöglichten diverse Blickwinkel auf das Thema, das auf unterschiedlichste Art und Weise damals wie heute verhandelt wird: als Positionen „zwischen den Stühlen“, der Selbstverständlichkeit von Mehrfachzugehörigkeiten in einer Realität „nach“ der Migration oder Zugehörigkeit als Sehnsuchtsort. So zeigte sich Belonging als vielschichtiger, mehrdeutiger, eigensinniger und entgrenzter Prozess, als ein Ringen und Aushandeln, als etwas, das sich der Festlegung durch bürokratische Akte der Verteilung von Zugehörigkeitsrechten qua Pass oder Status entzieht. 

Rund um die Filmprojektionen gab es auch in diesem Jahr diskursive Programmpunkte, die den tiefergehenden Austausch zu den Filmeindrücken ermöglichen sollten. Besonders stimmig zeigte sich das Rahmenprogramm zum Eröffnungsfilm „Gölge“ (1980) von Sema Poyraz und Sophokles Adamidis. So betonte Zeliha Arslan, Landtagsabgeordnete im Tiroler Landtag und Gemeinderätin in Innsbruck sowie Gründungsmitglied der TIGRA (Tiroler Gesellschaft für rassismuskritische Arbeit), in ihren Eröffnungsworten die Verbindungen zwischen dem Leben und Themen der fiktiven Protagonistin des Filmes und ihrer eigenen Lebensgeschichte. Auch in den Spoken Word Texten von Elif Duygu, österreichische Meisterin im Poetry Slam im Team-und Einzelwettbewerb, zu Themen rund um Zugehörigkeit, Heimat und Identität, fanden sich Elemente, die später im Film zur Erheiterung des Publikums wieder auftauchten. Zum ersten Mal fand die Vorführung des historischen Eröffnungsfilms zudem in Anwesenheit einer Regisseurin statt: Trotz intensiver Endproben für ein Theaterstück in den Münchener Kammerspielen reiste Sema Poyraz für das Filmgespräch nach Innsbruck an und erzählte im Gespräch mit Çağla Bulut, freie Journalistin, Filmemacherin und Trainerin in Innsbruck, von den Hintergründen des Filmes und den Kontinuitäten und Brüchen im Verhältnis zwischen damals und heute.

Leider war es vielen anderen Filmbeteiligten in diesem Jahr nicht möglich, den Film vor Ort in persona zu präsentieren und mit dem Publikum auch außerhalb der Projektionen in Kontakt zu treten. Umso schöner war es, dass Anna Konik, Regisseurin, und Michael Darko, Protagonist, die Vorführung ihres Films „Silence Heard Loud“ (2022) persönlich in Innsbruck begleiteten und im Anschluss für das Filmgespräch zur Verfügung standen. „Silence Heard Loud“ portraitiert sieben Menschen in Großbritannien, die von ihren Fluchtgründen, ihren Erfahrungen mit Rassismus, ihren Wünschen und Hoffnungen, aber auch von ihren Auseinandersetzungen mit Zugehörigkeits- und Heimatgefühlen erzählen. Dabei ist der Film ein kunstvolles Zeugnis der Stärke derjenigen, die trotz der Traumata der Vergangenheit im Kontext eines feindseligen Migrationsregimes für ihre Zukunft, Freiheit und Würde kämpfen. Diese Stärke wurde auch insbesondere im Gespräch mit Filmprotagonist und Aktivist Michael Darko spürbar, der von seinen Erfahrungen im Filmdrehprozess sowie aus seiner politischen Arbeit berichtete. Noch nach dem offiziellen Filmgespräch ging der Austausch zwischen Michael Darko, Besucher:innen und lokalen Aktivist:innen intensiv weiter. 

Das Online-Filmgespräch zu „Riz Cantonais“ (2015) mit Filmemacherin Mia Ma bot spannende Einblicke in die Entstehungskontexte des sehr persönlichen Dokumentarfilms über ihre Familiengeschichte und der Auseinandersetzung mit Sprachbarrieren, insbesondere aber auch in die Reflexionen der Regisseurin in der Retrospektive. „I think belonging is not only about feeling French or feeling Chinese, it’s about questioning ourselves and the world around us and also its about creating ourselves, to be in movement with what we inherited“, so Mia Ma zum Schwerpunktthema des Filmfestivals. 

Sehr bewegend war die Begegnung mit den Protagonist:innen und der Filmemacherin von „A Fish Tale“ von Emmanuelle Mayer (2022). Entstanden aus einer langjährigen Freundschaft zwischen der Regisseurin und dem Protagonisten, ist „A Fish Tale“ die Geschichte eines Visionärs, der „gegen den Strom schwimmt“, aber auch die Geschichte eines Paares, dessen Zukunftsvorstellungen wie Zugehörigkeitsgefühle zwischen dem Wunsch, das Beste für die Familie zu erreichen, eigenen Träumen und restriktiven Migrationspolitiken, schlussendlich auseinanderdriften. Belachew Gebrewold, Professor für Internationale Beziehungen und Leiter des Departments der Sozialen Arbeit und Sozialpolitik am MCI, Innsbruck, der das Gespräch moderierte, stellte die persönliche Erfahrung der Protagonist:innen schließlich in einen übergeordneten Kontext und betonte die strukturelle Dimension des Themas und ihrer Geschichte. 

Auch ohne diskursiven Programmpunkt war Futur Drei (2020), das preisgekrönte, autobiografische Regiedebüt von Faraz Shariat, ein abschließendes Filmhighlight des Filmfestivals, der das Publikum mit seiner Kraft, Sensibilität und Ästhetik begeisterte und berührte. Leider konnte das Filmteam weder persönlich noch online den Film präsentieren. Austausch fand trotzdem statt: Bei einem gemütlichen Ausklang im Foyer des Leokino unterhielten sich die Besucher:innen bei Drinks und Buffet sowie einem feinen DJ Set von Jima noch lange. 

Über die Festivaltage hinweg fand sich im Foyer des Leokino die mobile Ausstellung heimat<loser vom Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Tirol – ZeMiT, Dokumentationsarchiv Migration Tirol – DAM und der Anlauf-, Service- und Monitoringstelle für rassismus- und diskriminierungskritische Arbeit in Tirol – ARAtirol. Interviews von Jugendlichen und Erwachsenen sind der Kern der Ausstellung heimat<loser. In den Interviews wurden vier Erlebnisweisen deutlich: „Fremde“, „Angekommene“, und „Mehrheimische“ stehen einer Generation gegenüber, die die Frage nach Zugehörigkeit (humorvoll) ad absurdum führt und in einer Realität „nach der Migration“ lebt, in der entweder alle oder niemand „zugroast“ ist. Zusätzlich fanden 2022 in Schulen Poetry Slam Workshops zum Thema Heimat statt, deren Ergebnisse in die Wanderausstellung ein. Am Festivalfreitag wurden beteiligten Schulklassen an der Ausstellung zu einer Poetry Slam Text Show mit Elif Duygu und Martin Fritz ins Leokino eingeladen. Gemeinsam wurden Texte und Beiträge von Schüler:innen live oder aufgezeichnet gewürdigt und das gelungene Projekt gefeiert. 

Weithin sichtbar war zudem der Infotisch der Initiative Bürglkopf schließen, die auch heuer wieder das Filmfestival begleitete, ihren Aktivismus gegen brutale Grenzregime, rassistische Asylpolitik und Abschiebungen vorstellte sowie über die menschenunwürdige Unterbringung von Geflüchteten in Zelten und isolierten Lagern informierte.

Bei der 5. Edition des Inncontro Film Festivals nahmen ca. 215 Personen teil. Das Feedback der Besucher:innen war durchwegs bestärkend, die angereisten Filmschaffenden und Aktivist:innen zeigten sich sehr angetan von dem Festival und der Organisation. Auch wenn aus unterschiedlichsten Gründen der Publikumsandrang ausgeblieben ist, so zeigte es sich in den Gesprächen und Rückmeldungen erneut, wie wertvoll das Filmfestival für den Austausch und die Begegnung rund um Themen von (Post)Migration, Flucht und Asyl in Innsbruck und Tirol sind. Oder wie Zeliha Arslan sagt: „Gesellschaftliche Strukturen erschweren es Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund […] selbstbestimmt Teil der gesellschaftlichen Identität zu werden. Kunst und Kultur haben hier eine wichtige Funktion. Räume zu schaffen zum austauschen, diskutieren, erkennen und neu gestalten.“

Eine Veranstaltung von Initiative Minderheiten Tirol und Verein Sahel Tirol. In Kooperation mit dem Otto-Preminger-Institut, ZeMiT – Zentrum für Migranten und Migrantinnen in Tirol, Institut für Romanistik der Universität Innsbruck, FWF – Der Wissenschaftsfonds. Unterstützt von ÖGB Tirol, Arbeiterkammer Tirol, Caritas Tirol, Brennpunkt Coffee Competence und IKB – Innsbrucker Kommunalbetriebe. Gefördert vom Kulturamt und der Integrationsstelle der Stadt Innsbruck, der Abteilung Kultur und dem Fachbereich Integration des Landes Tirol und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, Öffentlicher Dienst und Sport.