Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich für Michael Oertl

Am Donnerstag, 30. März 2023 wurde Michael Oertl, Gründer der Initiative Minderheiten, das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich feierlich verliehen. Wir gratulieren herzlich und freuen uns, dass das jahrzehntelange Engagement von Michael Oertl auf diese Weise geehrt wird!

Aus diesem Anlass teilen wir gerne das Porträt von Michael Oertl von Beate Eder-Jordan, mit dem in der STIMME #120/2021 „In einer Welt der Ungleichheiten: KÄMPFER:INNEN in Allianz für Gerechtigkeit und Menschenrechte“ Michael Oertl als Initiator und „Gründungsvater“ ganz herzlich zum 70. Geburtstag gratuliert wurde:


Dem Gründer der Initiative Minderheiten
Dr. Michael Oertl zum 70. Geburtstag

Die Initiative Minderheiten mit Büros in Wien und in Innsbruck hat seit 1991 eine nicht mehr überschaubare Anzahl an gesellschafts- und bildungspolitischen sowie kulturellen Projekten konzipiert und durchgeführt. Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte stand die Idee des Innsbrucker Physikers Dr. Michael Oertl, ein „Minderheitenjahr“ durchzuführen. Es ist eine Geschichte von prägenden Begegnungen und Erfahrungen, die Oertl dazu brachten, seine Vision einer gerechteren und friedvolleren Welt umzusetzen.

Aus einem religiös geprägten Umfeld kommend, verbrachte Michael Oertl das Schuljahr 1967/68 bei einer Gastfamilie in den USA. Als Austauschstudent des American Field Service (AFS) hatte er Kontakt zu Stipendiat_innen aus vielen Ländern. „Ich war von der Vielfalt und ‚Verschiedenheit‘ der Welt beeindruckt und begeistert und dadurch auch auf die Verschiedenheit im Kleinen eingestimmt, auf Minderheiten“ (Oertl 2020, S. 144).

Als Vorstand des Vereins AFS in Tirol knüpfte er ein weit verzweigtes internationales Netzwerk. Diese Verbindungen, die Oertl bis heute intensiv pflegt, bildeten einen Grundstein für die Gründung der Initiative Minderheiten. Nach der Beendigung des Studiums der Physik folgte ein weiteres Auslandsjahr in Japan.

Im Jahr 1977 lernte Michael Oertl auf der Koralpe/Koralm eine kärntnerslowenische Jugendgruppe und deren Anliegen, Sorgen, Wünsche und Träume kennen, zu einem Zeitpunkt, als man in Österreich sehr wenig von den Anliegen der Kärnterslowen_innen wusste. Diese Begegnung, der weitere folgten, wurde zu einem Schlüsselerlebnis und änderte sein Verständnis grundlegend: „Die jungen Leute machten mir verständlich, dass für sie die Zweisprachigkeit öffentlicher Aufschriften eine wichtige Anerkennung als Minderheit darstelle und dass sie die Demontage der Ortstafeln als öffentliche Demütigung empfunden hätten. Dazu kämen noch die vielen Nadelsticheim Alltag, die darauf abzielten, sie vom Bekenntnis zu ihrer slowenischen Muttersprache und Volksgruppe abzubringen. Den Schmerz, die Wut darüber konnte ich lebhaft nachvollziehen. Ich ‚verliebte‘ mich in die Anliegen dieser Menschen und schloss Freundschaften, von denen einige heute noch bestehen. Beseelt vom Wunsch, etwas Wirksames für sie zu tun, kehrte ich nach Innsbruck zurück.“ (Oertl 2020, S. 146).

Aktionen des persönlichen Kennenlernens mit Teilnehmer_innen aus ganz Österreich folgten, etwa „Koroski devni“ – Kärntner Tage –, organisiert von der Jugendaustauschorganisation AFS. Eine Aktionsgruppe in Innsbruck, Freunde der Kärntnerslowen_innen, kam aber „nicht richtig vom Fleck. Fast fürchtete ich, das Feuer von der Koralm 1977 würde allmählich vergehen“ (Oertl 2020, S. 146).

Auch seine Reisen in den 1980er Jahren, u. a. in Asien, brachten Michael Oertl in Kontakt mit minorisierten Menschen und deren Diskriminierungs- und Armutserfahrungen. Er verspürte den starken Wunsch, etwas zu verändern – in Österreich. Im „Bedenkjahr 1988 – 50 Jahre ‚Anschluss‘ Österreichs an Nazi-Deutschland“ kam die zündende Idee: „Was wäre, fragte ich mich, wenn in ähnlicher Weise ein Jahr unter das Motto Minderheiten gestellt würde? Ein Minderheitenjahr könnte eine auf Gegenwart und Zukunft gerichtete Aktion sein. Ja, ein Themenjahr sollte es geben zugunsten der SlowenInnen in Kärn- ten, wie auch zugunsten anderer Minderheiten! Ein ‚Jahr der Volksgruppen und Minderheiten in Ös- terreich‘ sollte es sein!“ (Oertl 2020, S. 148f.). Diese Idee präsentierte er erstmals der Gruppe von Kärntner Slowen_innen, die er 1977 kennengelernt hatte, und stieß auf begeisterte Zustimmung. Im Anschluss daran „infizierte“ er Freund_innen und Vertreter_innen von Vereinen mit der Idee des Minderheitenjahres.

Ende der 1980er Jahre kündigte Oertl seine Ganztagesstelle als Physiker zugunsten einer Halbtagesstelle, um Zeit für die Vorbereitung des Minderheitenjahres zu haben. Anschließend wurde er freiberuflich tätig und machte sich im Bereich des Strahlenschutzes selbständig.

Auf einem Rückflug von China nach Innsbruck entwarf Michael Oertl die Grundsatzerklärung für das Minderheitenjahr. Seine Idee war, dass in diesem Jahr Energien und Aktivitäten von Minderheiten gebündelt werden sollten. Vorrangiges Ziel waren ein Austausch von Minderheiten untereinander sowie ein verstärkter Austausch zwischen minorisierten Gruppen und der Mehrheit. Die Idee, einen Verein zu gründen, stammte von seiner wichtigsten Mitstreiterin, Dr. Ursula Hemetek. Michael Oertl wurde der erste Obmann des Vereins und Geschäftsführer der Initiative Minderheiten Tirol.

Mit den „Stimmen zum Minderheitenjahr“, einem Newsletter als Hardcopy und Vorläufer der Zeitschrift Stimme, wurden Informationen und Ideen für das Minderheitenjahr verbreitet. Österreichweit kam es zu Gesprächen von Vertreter_innen minorisierter Gruppen untereinander und von Minderheiten- und Mehrheitsangehörigen, um Forderungen und Ziele auszuarbeiten. Nach – vor allem internen – konfliktgeladenen Aushandlungsprozessen bei Treffen am Bisamberg konnte die „Initiative Minderheitenjahr“ einen weiten Minderheitenbegriff formulieren, der die Arbeit bis heute prägt und die Bildung minoritärer Allianzen in den Mittelpunkt stellt. Ende 1994 wurde der Vereinsname von Initiative Minderheitenjahr auf Initiative Minderheiten geändert.

Die Vision des Minderheitenjahres sowie zahllose kleine und große Schritte zur Umsetzung und zur weiteren Entwicklung der Initiative Minderheiten gehen auf Dr. Michael Oertls unermüdlichen Einsatz zurück.

Lieber Michael, wir gratulieren dir, unserem Initiator und „Gründungsvater“, ganz herzlich zum 70. Geburtstag und drücken dir unsere Hochachtung und unseren Dank aus!