Rückblick Inncontro 2023: Kindheit & Jugend

Von 23.-25. November 2023 fand heuer zum bereits sechsten Mal das Inncontro – Internationales Film Festival der Vielheit im Leokino Innsbruck statt. Seit 2018 lädt das Filmfestival zum Austausch über (Post-)Migration, Flucht und Exil ein – in Form von internationalen Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Gesprächen, in denen die Perspektiven und die Handlungsmacht derjenigen im Mittelpunkt stehen, die migriert oder mehrheimisch sind, die fliehen mussten oder müssen, die Rassismus erfahren oder von aktuellen menschenfeindlichen Migrationsregimen betroffen sind. 

Bei der Ausgabe 2023 standen Erfahrungen von Kindheit und Jugend im Kontext von Migration im Fokus. Gerade auch für junge Menschen zeigt sich (Post-)Migration als bewegendes Moment, das Bindungen und Beziehungen verändert, Verantwortlichkeiten verschiebt und Fragen von Zugehörigkeiten und Identitäten verstärkt in den Raum stellt. Eine Situation, die ebenso ermächtigen wie (über)fordern kann, und neue, kreative Umgangsstrategien vonnöten macht. 

Eröffnet wurde das Festival in Kooperation mit den Kinozeitreisen des Otto-Preminger-Instituts sowie dem Osteuropazentrum der Universität Innsbruck und dem charmanten Film “Fluchtversuch” von Vojtěch Jasný aus dem Jahr 1976, der auf einer rotstichigen 16mm Kopie gezeigt wurde. Im Film versucht der 12-jährige Ivo im Wien der 70er Jahre dem Heimweh und dem Rassismus seiner Umgebung durch einen gewagten Fluchtversuch zu entkommen und trifft dabei auf große wie kleine Leute, solidarische und abweisende, und alles, was dazwischen liegt. Im anschließenden Gespräch zwischen Eva Binder vom Osteuropazentrum der Universität Innsbruck mit Dženeta Karabegović vom Fachbereich Soziologie und Sozialgeographie an der Universität Salzburg mit den Forschungsschwerpunkten Migration, Transnationalismus, Diaspora etc., wurden Hintergründe und Machart des Filmes diskutiert und Parallelen wie Brüche von damals zu heute thematisiert. 

Erstmalig fand am Vormittag des Festivalfreitages auch eine Schulvorstellung im Leokino Innsbruck statt. Gezeigt wurde in Anwesenheit des Regisseurs der eindrucksvolle, bewegende Film “Los Lobos” (Samuel Kishi Leopo, 2020), der die Geschichte der Kinder Max und Leo erzählt, die gerade mit ihrer Mutter aus Mexiko in die USA eingereist sind. Die Kinder verbringen die Tage im Inneren des Raums, während ihre Mutter draußen verschiedenen Jobs nachgeht. Es gilt, unter keinen Umständen von der Migrationsbehörde entdeckt zu werden, weshalb Lucía ihren Söhnen auf einem Kassettenrekorder sieben Verhaltensregeln einschärft, die sie in ihrer Abwesenheit zu beachten haben – darunter: niemals das Zimmer verlassen, nicht aus dem Fenster schauen! Aber Kinder wären nicht Kinder, wenn ihre Fantasie, die sie fliegende Wolf-Superhelden erfinden lässt, und Neugier sie nicht nach draußen treiben würden. Im Anschluss erzählte Samuel Kishi Leopo von den biografischen Elementen des Filmes, dem Drehprozess und beantwortete die zahlreichen Fragen der Schüler:innen. Insgesamt nahmen über 190 Schüler:innen an der Vorstellung teil – ein klares Zeichen, diesen Programmpunkt auch in Zukunft fortzuführen. 

Das Festivalprogramm ging weiter mit dem Dokumentarfilm “Réveil sur Mars” (2020) von Dea Gjinovci. Der Film erlaubt einen empathischen Einblick in die Stärke der geflüchteten Familie Demiri: Dabei der 11-jährige Furkan, der in Weltraumphantasien eine Welt ohne Verfolgung imaginiert, sowie seine Schwestern, die unter dem Resignation-Syndrom leiden, ein apathischer Zustand, der monate-, mitunter sogar jahrelang andauert, und unter dem besonders häufig geflüchtete, traumatisierte Kinder in als hoffnungslos erlebten Asylsituationen erkranken. Im anschließenden Gespräch mit der Filmemacherin, moderiert von Julia Rhomberg, wurden die gesundheitlichen Folgen von menschenfeindlichen Migrationsregimen und die Auswirkung von Traumata gerade bei jungen Menschen diskutiert und die Besonderheit der langjährigen Zusammenarbeit der Regisseurin mit der Familie Demiri hervorgeben. 

Der Festivalfreitag wurde mit dem überaus sinnlich-romantischen Spielfilm “Une histoire d’amour et de désir” (2021) von Leyla Bouzid beschlossen. Hier treffen der schüchterne Ahmed und die extrovertierte Farah in einem Kurs zu arabischer Liebesliteratur aufeinander – und ebenso ihre unterschiedlichen Migrationsbezüge, Lebensrealitäten und Vorstellungen von Beziehung und Tradition.  

Samstag durfte nun auch die breite Öffentlichkeit den Film “Los Lobos” von Samuel Kishi Leopo besuchen und im Anschluss in den Austausch mit dem Filmemacher und Oscar Thomas-Olalde treten.  

In Kooperation mit dem Diametrale Filmfestival für Experimentelles und Komisches wurde als Abschlussfilm “Take me somewhere nice” (2019) von Ena Sendijarević gezeigt. Nach einer Einführung von Marco Friedrich Trenkwalder über die Hintergründe des Filmes und die Regisseurin, teilte Maurice Munisch Kumar Reflexionen zu den vermittelten Inhalten des Filmes, der Fragen nach Identität, Migration und Ost-West-Beziehungen verhandelt. Einem Roadmovie gleich erzählt der Film von Alma, die als Kind mit ihrer Mutter vor dem Krieg geflohen ist und nun ihren erkrankten Vater in Bosnien besuchen will. Auf die Hilfe ihres entfremdeten Cousins Emir kann sie dabei nur bedingt zählen. Ein Film, der für Gesprächsstoff sorgte und das Festival mit skurrilen Kameraperspektiven und schrillem Sound abschloss. 

Insgesamt freute sich das Inncontro Film Festival Team über ca. 450 Besucher:innen bei den Veranstaltungen und zahlreiches, bestärkendes und positives Feedback.