Presseaussendung: Historischer Moment für Jenische

Presseaussendung vom 4. Oktober 2023 – Initiative Minderheiten Tirol und Verein Jenische in Österreich

Landeshauptmann Anton Mattle versichert in einer Grußbotschaft am 7. Jenischen Kulturtag am vergangenen Samstag in Innsbruck, dass die Stimme der Jenischen vom offiziellen Land Tirol gehört wird und Jenische ein Teil unserer kollektiven Geschichte sind. Nicht nur bezeugt er damit die Existenz der Jenischen, sondern stellt das Gemeinsame in den Vordergrund. Die Kenntnis und Anerkennung einer gemeinsamen Geschichte Jenischer und Nicht-Jenischer ist für ein umfassendes Geschichtsbild des Landes essenziell. Landeshauptmann Mattle verweist in seiner Rede auch auf den Wert und die Notwendigkeit von Stimmen von Minderheiten für die Demokratie. 

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen spricht in Grußworten an das Jenische Archiv vom 22. September 2023 davon, dass mit der Bewahrung und Sammlung von „Dokumente[n] und Belege[n] des Jenischen Lebens […] ein Stück Geschichte bewahrt [wird], das Bestandteil unserer gemeinsamen österreichischen Geschichte ist.“

Erstmals in der Geschichte Österreichs wird Jenischen ihr gesellschaftlicher und historischer Raum von hohen politischen Amtsträger*innen zuerkannt, der ihnen im Zuge der langen Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte verwehrt wurde und bis heute wird. Nach dem Beschluss des Tiroler Landtags vom 7. Juli 2022, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, „die Jenischen aktiv in der Aufarbeitung ihrer Geschichte [zu] unterstützen […]“ sind das die ersten Signale, die in diese Richtung gehen. 

Die Initiative Minderheiten Tirol, Trägerin des Jenischen Archivs, und der Verein Jenische in Österreich freuen sich über die positiven und wertschätzenden Worte und verweisen auf die prekäre finanzielle Situation des Archivs, die es erschwert, die vom Bundespräsidenten und vom Landeshauptmann wertgeschätzte und wichtige Arbeit zu leisten.

Das Jenische Archiv konnte in den letzten beiden Jahren über 500 Archivalien sammeln und katalogisieren, verfügt aber (noch) nicht über die Ressourcen zwei große Schenkungen und etliche Einzelstücke zu bearbeiten und in die Sammlung aufzunehmen. Außerdem konnte der wesentlichste Aspekt jenischer Geschichte, nämlich Geschichten von Jenischen, noch nicht im notwendigen Ausmaß erschlossen werden. Denn, „die Volksgruppe der Jenischen hat ihr reiches Wissen, ihre Geschichten und ihren Sachverstand mündlich und innerfamiliär weitergegeben. Die fehlenden schriftlichen Zeugnisse der Jenischen erfordern eine nachträgliche Einschreibung der Gegenwart in die Vergangenheit, um das historisch gefälschte und von politischen Interessen geleitete Bild zurechtzurücken“, wie Bernhard Schneider und Michael Haupt in einem Text für die Teilnahme an der Ausstellung „gestures of archiving“ im Kunstraum Schwaz, die am Freitag, 6. Oktober 2023 eröffnet wird, schreiben. Die „nachträgliche Einschreibung“ bedeutet einerseits, dass historische Dokumente einer kritischen Kontextualisierung unterworfen werden müssen und andererseits, dass Jenische mit ihrem Erfahrungs- und familiären Wissen eine Gegenerzählung zum mehrheitsgesellschaftlichen Diskurs beisteuern sollten. Denn geschieht dies nicht, würde der historisch-diskriminierende Blick der Obrigkeiten reproduziert – hierzu müssen viele Bilder bzw. Anschauungen korrigiert werden.

Reaktionen von Jenischen:

„Sehr erfreuliche Grußworte von Bundespräsident Van der Bellen und Landeshauptmann Mattle, welche die Legitimation der jenischen Stimmen in unserer Gesellschaft bestätigen. Wollen wir hoffen, dass diese auch bei den entscheidenden Gremien endlich gehört werden und der Stillstand in der Frage der Anerkennung endlich ein Ende findet.“

Marco Buckovez, Obmann Verein Jenische in Österreich

„Vor mehr als dreißig Jahren begann mit Romed Mungenast die Selbstorganisation der Jenischen in Österreich, 2023 erreichen uns Ihre freundlichen Grußbotschaften, die signalisieren: unsere Stimme wird gehört. Gehört werden wir Jenische jetzt immerhin. Aber leider nur gehört.“

Simone Schönett, Schriftstellerin

In den Zeiten als die Jenischen als Karrner verschrien und, auch in Österreich, mittels Kindswegnahmen verfolgt und dezimiert wurden, gab es Beamte, die umgehend und ohne auf die Rechtslage zu achten, ihres Amtes walteten. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesländer und die Republik Österreich mit derselben Vehemenz das Steuer endgültig herumreißen und der jenischen Minderheit den Weg ebnen, als gleichberechtigte Volksgruppe im Sinne der Menschenrechte anerkannt zu werden. Die Grußbotschaften des Herrn Bundespräsident Van der Bellen und des Herrn Landeshauptmanns Mattle wurden mit Wohlwollen gehört und aufgenommen. Ich hoffe, dass sie das Startzeichen sind für den baldigst einsetzenden Wandel im Zusammenleben der Gesamtgesellschaft mit unserer Minderheit.

Venanz Nobel, Vizepräsident Verein schäft qwant

Ich danke dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und dem Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle für ihre klaren Grußworte an die Teilnehmenden des jenischen Kulturtags 2023. Die Anerkennung der österreichischen Jenischen als nationale Minderheit scheint darin bereits gedanklich vorweggenommen. Das sind gute Neuigkeiten.

Isabella Huser, Schriftstellerin

Es freut mich natürlich, dass sich unser Landeshauptmann und auch der (Tiroler) Bundespräsident so positiv dazu äußern, allerdings wäre es noch schöner, wenn sie dazu beitragen könnten, dass die Anerkennung der Jenischen endlich vorangetrieben würde.

Hans Monz

Ich war erstaunt, dass er sich überhaupt mit einer Grußbotschaft an die Jenischen wendet! Seine Worte, finden ich, haben ziemlich genau den Kern eines Teils der Bemühungen der jenischen Aktivisten getroffen. Es ist mir erschienen, als hätte er sich damit auseinandergesetzt. Ich habe bei mir gedacht: Wow! Die Staatsspitze sendet einen Gruß, die Arbeit des Vereins trägt erste Früchte.

Harald Swoboda

Die Grußbotschaften des Herrn Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und des Landeshauptmanns Anton Mattle sind zu begrüßen. Der bloßen Anerkennung ist zu wünschen, dass nun auch Taten folgen. Den betroffenen Jenischen steht eine Aufarbeitung zu mit allen daraus entstehenden Konsequenzen. Wie diese aussehen könnte, hat die Schweiz gezeigt und muss weiterhin daran arbeiten.

Uschi Waser, Präsidentin Stiftung Naschet-Jenische

Sehr schöne Worte vom Bundespräsidenten Van der Bellen und vom Landeshauptmann Mattle. Die Frage ist, wie können Jahrhunderte der Ausgrenzung, der Diskriminierung und der Stigmatisierung nur mit schönen Worten wieder gut gemacht werden? Wenn die Politik die Jenischen, Ihre Geschichte, ihre Kultur, ihren Betrag für dieses Land, ihre Angst vergessen und assimiliert zu werden, wirklich ernst nehmen würde, wäre es nicht nur bei Worten geblieben, Die Tatsache, dass keiner der beiden Herren, weder persönlich, noch durch einen Vertreter beim Jenischen Kulturtag anwesend war und mit deren Vertretern das Gespräch gesucht hat, zeigt nur einmal mehr wie „wichtig“ den Volksvertretern die Belange der Jenischen sind. Hier wäre ein Besuch ein klares Signal gewesen, die Jenischen wahr zu nehmen und ernsthaft Gespräche über die Anerkennung zu führen. Dies wurde einmal mehr versäumt, obwohl die Jenischen nach wie vor am Rande der Gesellschaft leben und die Würde des Menschen unantastbar ist.

Renaldo Schwarzenberger, Vorsitzender Zentralrat der Jenischen in Deutschland

Die Grußbotschaften des Landeshauptmanns Anton Mattle und des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen haben ein Zeichen des guten Willens gesetzt. Selbstverständlich hätte eine persönliche Anwesenheit den Worten entschieden mehr Gewicht gegeben. In den Grußbotschaften werden zwei wichtige Punkte benannt. Das ist zum einen die wertvolle Arbeit der Initiative Minderheiten Tirol und zum Anderen die Bedeutsamkeit des Jenischen Archivs. Beides braucht neben viel Herzblut, dass Michael Haupt und sein Team hat, auch finanzielle Unterstützung. Dies wäre nun ein sichtbares Zeichen der anerkennenden Worte für uns Jenische. Ich fordere daher Herrn Mattle und Herrn Van der Bellen auf, die wichtige Arbeit, die Sie ja auch in Ihrer Grußbotschaft erwähnen, mit einem großzügigen finanziell Betrag zu fördern.  „Denn jede Stimme hat denselben Wert in einer demokratischen Gesellschaft und muss gehört werden.“ (Zitat aus der Grußbotschaft). Wir Schweizer Jenischen sind seit 2016 als nationale Minderheit anerkannt. Dasselbe streben auch die Jenischen in Österreich an. Hier braucht es den Willen der Politik, damit dies nicht nur ein Wunsch bleibt, sondern eine Tatsache wird. Daher fordere ich Sie Herrn Mattle und Herrn Van der Bellen auf, sich dafür einzusetzen, dass auch die österreichischen Jenischen als nationale Minderheit in Ihrem Land anerkannt werden. Ich freue mich, wenn Sie beide, Herr Mattle und Herr Van der Bellen, nächstes Jahr persönlich an den Jenischen Kulturtagen anwesend sind und uns im obigen Sinn positive Nachrichten überbringen können.

Ursulina Gruber

Grußbotschaft Bundespräsident Alexander Van der Bellen

„Der Wunsch, Geschichte zu bewahren, zu verhindern, dass das Vergangene in Vergessenheit gerät, ist etwas, das alle Menschen verbindet. Mit Ihrer Arbeit am und für das Jenische Archiv kommen Sie genau diesem – wie ich meine – universellen Wunsch nach.

In einer beeindruckenden Sammlung verschiedenster Archivalien werden Dokumente und Belege des Jenischen Lebens über die Zeiten aufbewahrt und aufgearbeitet. Auf diese Weise werden Einzelschicksale dokumentiert und sichtbar gemacht. Gleichzeitig wird damit ein Stück Geschichte bewahrt, das Bestandteil unserer gemeinsamen österreichischen Geschichte ist.

Die Gruppe der Jenischen hat über die Jahrhunderte Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren. Gerade wenn es um marginalisierte Gruppen geht, sollte die Vergangenheit dokumentiert werden. Auch, um solche Entwicklungen für die Zukunft zu verhindern. Ich bedanke mich daher sehr für Ihre Bemühungen um das Jenische Archiv und die Geschichte der Jenischen.“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Grußbotschaft Landeshauptmann Anton Mattle

Transkript Grußbotschaft Landeshauptmann Anton Mattle

„Geschätzte Damen und Herren. Es tut mir sehr leid, dass ich nicht in Präsenz zu Ihnen sprechen kann. Leider lässt es mein Terminkalender nicht zu, ich hoffe aber, sie nehmen auch diese virtuelle Grußbotschaft als ein Zeichen dafür, dass mir die Wichtigkeit der heutigen Veranstaltung sehr bewusst ist. Mein ganzer Dank gilt der Initiative Minderheiten Tirol, die sich seit Jahren dafür engagiert, die Gruppe der Jenischen kulturell sichtbar zu machen, die überhaupt über die Gruppe der Jenischen hinaus unschätzbar wertvolle Arbeit im Dienste unserer Gesellschaft und im Dienste unserer Demokratie leistet. Denn jede Stimme hat denselben Wert in einer demokratischen Gesellschaft und muss gehört werden. Leider sind viele Minderheiten immer noch zu wenig oder gar nicht sichtbar in der öffentlichen Wahrnehmung. Hier leisten Michael Haupt und sein Team einen essenziellen Beitrag. Der Jenische Kulturtag ist das beste Beispiel dafür. Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um die Vertreterinnen und Vertreter der Jenischen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ganz herzlich hier bei uns willkommen zu heißen. Ich denke, die wichtigste Botschaft ist an diesem Tag das. Ihre Stimme wird gehört, mehr noch, sie sind ein Teil unserer kollektiven Geschichte und wir sind auf ihre vielseitigen Stimmen angewiesen, um unsere gemeinsame Geschichte zu verstehen. Ihnen allen wünsche ich heute eine gelungene Veranstaltung und hoffe, dass sie um viele Begegnungen und Eindrücke reicher nach Hause gehen.“

Landeshauptmann Anton Mattle

Landtagsbeschluss vom 7.7.2022

„Der Tiroler Landtag begrüßt ausdrücklich die laufende, von den Jenischen angestoßene Aufarbeitung ihrer Geschichte und fordert die Tiroler Landesregierung auf, mit den Jenischen in Kontakt zu treten, und in weiterer Folge zu prüfen, in welchem Rahmen die Landesregierung die Jenischen aktiv bei der Aufarbeitung ihre Geschichte unterstützen kann.“

Landtagsbeschluss vom 7.7.2022

Kontakt:
Michael Haupt, Geschäftsführung Initiative Minderheiten Tirol | Jenisches Archiv
0650 3308666
michael@minorities.at
Zollerstraße 7
6020 Innsbruck

© Bildmaterial: Alena Klinger | Initiative Minderheiten Tirol