Rückblick Inncontro 2024: Sport & Bewegung

Vom 21. bis 23. November 2024 fand zum siebten Mal das Inncontro – Internationales Film Festival der Vielheit im Leokino Innsbruck statt. Seit 2018 lädt das Filmfestival zum Austausch über (Post-)Migration, Flucht und Exil ein – in Form von internationalen Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Gesprächen, die die Perspektiven und Handlungsmacht derjenigen im Mittelpunkt stellen, die migriert oder mehrheimisch sind, die fliehen mussten oder müssen, die Rassismus erfahren oder von aktuellen menschenfeindlichen Migrationsregimen betroffen sind.

Die siebte Ausgabe widmete sich dem Thema Bewegung und Sport im Kontext von Migration. Sport wurde als körperlich-subkulturelle Ausdrucksform, als Praxis von Selbstermächtigung und Widerstand, als Strategie im Kampf um Anerkennung sowie als Mittel zur Überwindung von Barrieren und zur Bildung von Zusammengehörigkeit thematisiert.

Eröffnet wurde das Festival mit dem historischen Film „Trener“ (1978) von Mladomir (Puriša) Đorđević. Der Film beleuchtet die Loyalitätskonflikte eines jugoslawischen Fußballtrainers, der nach Deutschland migriert, um dort eine neue berufliche Herausforderung anzunehmen. Während er sich in der Fremde mit neuen Erwartungen und Korruption konfrontiert sieht, steht er zugleich vor einem inneren Identitätskonflikt: Wie viel von seiner alten Heimat lässt sich in der neuen bewahren, und welchen Preis zahlt man für Zugehörigkeit?  Im Anschluss an den Film unterhielten sich Mirjana Stojaković, Geschäftsführung ZeMiT und Dajana Mehadžić, Beraterin und Projektleitung ZeMiT über ihre Eindrücke zum Film, der Bedeutung von Sport im ehemaligen Jugoslawien sowie in den Exil-Gemeinschaften in Österreich. Stimmig dazu wurden im Foyer des Leokinos Archivalien des Dokumentationsarchiv Migration Tirol (DaM) ausgestellt, das u.a. Archivalien des jugoslawischen »Arbeitervereins Bratstvo« und der »Arbeitersportspiele« in den 1980er Jahren präsentierte. Auch Zeitdokumente, Fotos, Trikots und weitere Objekte anderer Sportvereine wurden für das interessierte Publikum aufbereitet.

Der Fußball stand auch im Zentrum des preisgekrönten Spielfilms „Sieger sein“ (2024) von Soleen Yusef: Die elfjährige Mona musste ihre Tante Helin und ihren Lieblingsfußball in Syrien zurücklassen, als sie mit ihrer kurdischen Familie nach Berlin floh. Die neue Schule ist für Mona erstmal ein Schock: Chaos pur und die anderen Schüler*innen begegnen ihr überaus skeptisch bis offen ablehnend. Nur ein beherzter Lehrer nimmt sich Mona an und sie in die Mädchenfußballmannschaft auf – nicht unbedingt zur Freude ihrer Mitspieler*innen: Die sehen Mona nach wie vor als Außenseiterin und tragen ihre eigenen Kämpfe mit sich und untereinander aus. Doch im Laufe der Zeit wird klar: Nur wenn sie sich verbünden und gemeinsam spielen, können sie gewinnen. Mit ihrem zweiten, autobiografisch inspirierten Spielfilm zeigt Soleen Yusef auf, dass Fußball für Mona nicht nur zum Mittel der Annäherung an ihre Mitschüler:innen, sondern auch zum Symbol für den Kampf um Anerkennung und Selbstbehauptung in einer feindseligen Umgebung. Der Film zeigt eindrücklich, wie Migration für Kinder eine Gratwanderung zwischen alten Gewohnheiten und neuen Anforderungen bedeutet.

In einem voraufgezeichneten Filmgespräch mit Soleen Yusef, Regisseurin und Canan Turan, Kuratorin & Drehbuchberaterin, wurde deutlich, welche autobiografischen Elemente aus Soleen Yusefs Kindheit und Jugend in den Film mit einflossen.

Am Freitagabend wurde der Film „Motståndaren“ (2023) von Milad Alami gezeigt. Dieses Drama folgt der Geschichte von Iman, einem ehemaligen Ringsportler, der mit seiner Familie aus dem Iran nach Schweden flieht. Um ihre Zukunft zu sichern, tritt der ehemalige Profi-Sportler in der Hoffnung auf eine Aufenthaltsgenehmigung der örtlichen Ringsport-Mannschaft bei – sehr zum Missfallen seiner Frau Maryam. Während Imam trainiert und nebenher als Essenslieferant arbeitet, entfernt er sich immer weiter von Maryam, die in ihr altes Leben in den Iran zurückkehren will. Die Situation spitzt sich zu, bis Iman gezwungen ist, sich mit den tiefer liegenden Gründen für seine Flucht auseinanderzusetzen. Milad Alamis Werk nähert sich sensibel den körperlichen und emotionalen Kämpfen seiner Hauptfiguren und zeigt eindrucksvoll auf, wie das Leben auf der Flucht in Stillstand geraten kann. Der Film thematisiert, wie Migration nicht nur äußere, sondern auch innere Kämpfe ausgelöst, und zeigt die Belastungen, die auf Migrant:innen lasten, wenn persönliche Ziele und familiäre Bindungen in Konflikt geraten. Leider konnte das geplante im Anschluss stattfindende Filmgespräch mit Milad Alami wegen Krankheit nicht stattfinden.

Am Samstag Nachmittag erzählte „Tatami” (2023), ein aufreibender Thriller von Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi, die Geschichte von Leila Hosseini. Die gefeierte iranische Judoka tritt zur Weltmeisterschaft in Tiflis an – mit dem Ziel, die erste Goldmedaille für ihr Land zu gewinnen. Der Erfolg scheint greifend nah, doch vor dem finalen Kampf will sie das Teheraner Regime zwingen, eine Verletzung vorzutäuschen und aus dem Wettkampf auszusteigen. Der Grund: Der Iran könne unter keinen Umständen gegen Israel in der letzten Runde antreten und eine Niederlage riskieren. Weigert Leila sich, würde sie als Staatsverräterin betrachtet werden – mit Folgen für die Sicherheit und Freiheit nicht nur ihrer selbst, sondern auch ihrer Familie und Trainerin. Inspiriert von Geschichten iranischer Sportlerinnen zeigt der Film eindringlich, wie sportliche Errungenschaften in autoritären Regimen oft politisch instrumentalisiert werden und wie der Widerstand Einzelner gegen diese Instrumentalisierung zu einem symbolischen Akt wird, der weit über den Sport hinausgeht.

Besonders eindrucksvoll war auch die Einführung von Narmin Mirzai, einer ehrenamtlichen Aktivistin der Gesellschaft unabhängiger iranischer Frauen in Österreich sowie dem Netzwerk Frauenrechte Amnesty International Österreich. Sie betonte die Schwere der Situation iranischer Sportler*innen und  Frauen im Allgemeinen und rief dazu auf, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten so gut es geht gegen Unrecht und Ungleichheit vorzugehen und aktiv zu bleiben.

Zum energetischen Abschluss des Festivals zeigten wir den Dokumentarfilm „2UNBREAKABLE“ (2023) von Maike Conway – und nutzen die Gelegenheit, dazu Tänzer*innen der hiesigen Breakdance-Szene auf die Bühne und zu Wort zu bitten. Im Foyer des Leokinos begeisterten die Breakdance-Tänzer Mustapha Ajdour aka The Wolfer und Khaled Haj Bakar aka Killua mit einer Showcase die anwesenden Kinobesucher*innen und standen im Anschluss an den Film für ein Gespräch zur Verfügung, in dem sie erzählten , wie sie zum Tanzen gekommen sind, was Breaken für sie bedeutet und wie sie die lokale und internationale Community erleben, außerdem teilten sie auch ihre Eindrücke zum Film “2UNBREAKABLE”. In dem stehen „BGirl Joanna“ und „BBoy Said“ Serhat vor dem Spagat zwischen subkulturellem Tanzstil und offizieller Olympia-Sport-Disziplin. Um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, stehen zahlreiche Trainings, Ranking Battles und Wettbewerbe an. Gerade für Serhat bedeutet die Tatsache, im deutschen Bundeskader aufgenommen worden zu sein, besonders viel, wäre er doch der erste Uigure, eine in China verfolgte Minderheit, der an den Olympischen Spielen teilnimmt. Joanna versucht, Studium, Breaken und Famile unter einen Hut zu bringen und die Hoffnungen ihrer bulgarischen Eltern, die sich ein besseres Leben für ihre Tochter wünschen, zu erfüllen. Während die Leistungsanforderungen steigen, zählt für Serhat und Joanna jedoch vor allem eines: die Freude und Leidenschaft am Breaken und den Zusammenhalt in der Crew nicht zu verlieren.

 

Zusätzlich zum Festivalprogramm wurde erneut eine kostenfreie Filmvorführung für Schulklassen organisiert. Leider konnte der geplante Schulfilm “Sieger sein” aufgrund technischer Probleme nicht gezeigt werden, stattdessen wurde “2UNBREAKABLE” projiziert. Fast 200 Schüler*innen und Begleitpersonen nahmen das Angebot am Donnerstagvormittag an. 

Insgesamt freute sich das Inncontro Film Festival Team über ca. 350 Besucher*innen. Die siebte Ausgabe des Festivals zeigte eindrucksvoll, wie Bewegung und Sport im Kontext von Migration Brücken bauen, Identität formen und neue Perspektiven eröffnen können. 

Ein Dank geht nochmal an alle Beteiligten der diesjährigen Ausgabe des INNCONTRO Filmfestivals. In Kürze wird es dann auch erste Infos zum INNCONTRO 2025 geben, also bleibt gespannt !