
Neunter Jenischer Kulturtag
Früher zogen Jenische in kleinen Familienverbänden durch das Land, um den Sesshaften ihre Arbeitskraft und handwerklichen Fähigkeiten anzubieten. Als Menschen mit eigenen Lebensweisen, einer eigenen Sprache und eigenständigen kulturellen Traditionen waren sie eine Minderheit, die schon früh diskriminiert und zur Sesshaftigkeit gezwungen werden sollten.
Im Nationalsozialismus wurden Jenische als sogenannte Asoziale verfolgt und ermordet. Doch auch nach 1945 bis in die jüngste Vergangenheit nahm die Unterdrückung und Gewalt kein Ende, etwa durch willkürliche Gefängnisstrafen oder Kindswegnahmen durch die Jugendwohlfahrt, bei der die ihren Familien entrissenen Kinder in anerkannten Institutionen systematisch gequält, geschlagen und erniedrigt wurden. Ein dunkles Kapitel der Geschichte der Jenischen, das bis Mitte der 1980er anhielt und bis heute weiterwirkt.
Die Jenischen Kulturtage wenden sich gegen das Vergessen und treten ein für die Sichtbarmachung der Jenischen Gegenwart und Vergangenheit sowie des Beitrags der Jenischen zur Tiroler Geschichte. Jenseits von herabwürdigender Stereotypisierung und der Romantisierung der fahrenden Lebensweise soll bei den Jenischen Kulturtagen ein realistischeres Bild der teils vergessenen und verschwiegenen, teils noch lebendigen Traditionen, Kultur und Lebensformen gezeichnet werden. In Gesprächen und Erzählungen über damals und heute, über Dokumente und Bilder, in Form von Musik und Handwerk.
So freuen wir uns ein neuntes Mal auf einen Tag voller eindrücklicher Begegnungen und regen Austausches.
Samstag, 20.09.25 ab 14:00 Uhr
Reich für die Insel
Landestheatervorplatz
6020 Innsbruck
Programm:Â
14:40 Uhr Begrüßung
15:00 Uhr „Räuberbande“ 1726 in Giessen – eine Spur zu den Jenischen ?
Willi Wottreng berichtet über den Prozess gegen eine sogenannte «Räuberbande», der
1726 in Giessen (Hessen, D) stattfand, und hinterfragt die Protokolle. Was versteckt sich
hinter dem Wort «Räuberbande»? Lässt sich etwas über die ethnische Zugehörigkeit
dieser angeschuldigten Menschen im frühem 18. Jahrhundert sagen? Wottreng wagt eine
Antwort – und versucht damit, einen Beitrag zu leisten zur Frühgeschichte der Jenischen.
Mit dabei:
Willi Wottreng, Schriftsteller und Historiker, Geschäftsführer der schweizerischen
Radgenossenschaft der Landstrasse
16:15 Uhr Lesung & Gespräch Albert Minder und die „Korber-Chronik“
Albert Minder (1879–1965) hat als erster in der Schweiz das Leben seiner heimatlosen
Vorfahren erforscht und erzählt. Seine Familiengeschichte bietet anschauliche Einblicke in
eine nicht-sesshafte Kultur und beschreibt die Armut in der Schweiz des 19. Jahrhunderts.
Eindringlich und mit Humor erzählt, ist die «Korber-Chronik» ein wichtiges Zeugnis einer
literarischen Selbstermächtigung. Sie behandelt so zeitlose und aktuelle Themen wie
Herkunft, Familienbande, Arbeit und Armut. Die Herausgeberinnen Christa Baumberger
und Nina Debrunner stellen im Gespräch und Lesungen den Autor Albert Minder und seine
„Korber-Chronik“ vor.
Mit dabei:
Christa Baumberger, Literaturwissenschaftlerin & Kulturpublizistin
Nina Debrunner, Autorin & Herausgeberin
Objekte und ihre Geschichte
Jenische Geschichte ist in der Regel nur aus behördlicher Sicht festgehalten, dabei sind
durch die mündliche Tradition viele Erzählungen aus alten Zeiten in den Familien präsent.
Durch persönliche Gegenstände aus jenischem Besitz, die von Jenischen aus Österreich,
Deutschland und der Schweiz vorgestellt werden, sollen diese Erinnerungen vor den
Vorhang geholt werden und in Kontrast zu öffentlichem Schriftgut gesetzt werden. Vor
allem soll aber in lockerer Atmosphäre ein allgemeines Erzählen angeregt werden.
Mit dabei:
Renaldo Schwarzenberger Vorsitzender Jenischer Zentralrat, Deutschland,Â
Willi Wottreng Geschäftsführer Radgenossenschaft, Schweiz
Rudi Katholnig Akkordeonist und Komponist, Kärnten
Bernhard Schneider und Michael Haupt Jenisches Archiv, Innsbruck
19:30 Uhr Konzert: Rudi Katholnig & Markus Gruber
Der Kärntner Akkordeonist, Komponist und Musikpädagoge Rudi Katholnig – musikalisch
geprägt von seinem jenischen Großonkel – trifft auf seinen langjährigen Weggefährten
Markus Gruber, Schlagzeuger und Percussionist. Gemeinsam standen sie bereits im Jazz-
Quartett Jazz Compress auf der Bühne und sind heuer beim jenischen Kulturtag als Duo
zu hören.