Impressionen INNCONTRO 2018

Impressionen Inncontro 2018

Die letzten Eintrittskarten abgerissen, ein letzter Abspann, der Saal erhellt sich. Am Abend erklingt noch die Musik von Noor Eli Khoury sowie die letzten Dankesworte des Teams. Dann ist das INNCONTRO – Film Festival der Vielheit 2018 vorbei. Doch was bleibt?

Am 16. und 17. November fand zum ersten Mal das Inncontro Film Festival der Vielheit im Leokino Innsbruck statt. Das neue Filmfestival setzt es sich zum Ziel, Erfahrungen rund um Migration eine Stimme und Leinwand zu geben und die Themen in Form von Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilmen und deren diskursiver Einbettung einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei wird in jährlichen Schwerpunktsetzungen der Fokus auf verschiedene Aspekte von Migration gelegt; in der ersten Ausgabe des Filmfestivals standen so weibliche* Migrationserfahrungen im Vordergrund.

Den Auftakt gestaltete am Freitagabend nach einem musikalischen Einstieg durch das Streetnoise Orchestra und der Eröffnung durch die Initiatoren, Kerstin Hazibar mit einem kurzen Inputvortrag. Als langjährige Erwachsenenbildnerin und Dozentin im Bereich Kritische Geschlechter- und Migrationsforschung führte sie das Publikum in den Themenschwerpunkt Frauen* und Migration ein. Nach der Filmvorführung von La Noire de… (SEN 1966) von Ousmane Sembène moderierte sie zudem das Gespräch mit Verena Teissl, Professorin für Kulturmanagement und Cultural Studies an der FH Kufstein Tirol und Kibidoué Eric Bayala, Dokumentarfilmer und Soziologe, die über die Hintergründe des Films, dessen Rezeption in Afrika und Europa und die Persönlichkeit Sembènes berichten konnten. Das Publikum zeigte sich in den Fragen und Anmerkungen im Anschluss betroffen und berührt ob des historischen Filmes, der das Schicksal Douannas, die als Kindermädchen einer französischen Familie an der Côte d’Azur arbeitet, verarbeitet und die sklav*innenähnliche Beschäftigung thematisiert, der sie ausgesetzt ist: Ausdruck eines postkolonialen Verhältnisses, das sich unter anderen Voraussetzungen auch in heutigen Arbeitsbedingungen wiederfinden.

Auch am Samstag, den 17. November setzten sich die Besucher*innen des Filmfestivals mit dem Themenschwerpunkt Frauen* und Migration auseinander, mit Bildern und Erfahrungen, die unter die Haut gehen: die Flucht- und Verfolgungserfahrungen zweier Jesidinnen in einem Camp in der Türkei; die widrigen Umstände der Binnenmigration zweier junger Frauen in die Metropolen ihrer Heimatländer; die Konfrontation einer Studentin mit rassistischen und sexistischen Übergriffen; der Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe im Kongo; der Kampf gegen die Traumata eines noch stattfindenden Krieges; die Suche nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit sowie erschreckende Szenen, die Menschen auf der Flucht von Syrien nach Europa erleben müssen.

Bei den meisten Programmpunkten konnten auch deren Regisseur*innen anwesend sein, was im Anschluss an die Filmvorführung die Möglichkeit für moderierte Gespräche und Fragen aus dem Publikum gab.

Wie, fragt eine Besucherin beispielsweise die anwesenden Kurzfilmmachenden, wie kann man umgehen mit so viel menschlichem Leid, mit so viel Elend? „Leugnung“, sagt Rania Mustafa Ali, die im Kurzfilm Escape from Syria: Rania’s Odyssey mit einer Handkamera ihre eigene Flucht gefilmt hat. „Leugnung und Depression“. Doch dann formuliert sie, was dem gesamten Kinosaal noch sehr viel stärker in Erinnerung bleiben wird:

„But I think it’s very important that we don’t let all those feelings or that shock that you get, just to leave it as feelings and not turn it into actions. It’s very important to try to change something, try to do whatever you can in your power, if it’s movies, if it’s speaking up trying to affect the policy makers, opinions, or if it’s in simple things, like volunteering, helping any kind of organizations. There are many ways that we can help to change it, like you said: We’ve had enough and we can’t just leave the world this way. So whatever we can, whatever you can do, whatever is in your power, I know that sometimes you would think it’s little and it’s not enough, but you’re making a change in your own way.”

Rania Mustafa Ali, Kurzfilm Escape from Syria: Ranias Odysse

Inès Khannoussi, Filmemacherin aus Wien, die ihre Dokumentation Meanwhile in Tunisia am Filmfestival präsentierte, betont, wie wichtig es zudem sei, die Begegnung und Auseinandersetzung mit Menschen, die Migrationsthemen weniger offen gegenüberstehen, explizit zu suchen.

Als Helin Celik, Regisseurin von What the wind took away, gefragt wurde, was sie dem Publikum mitgeben möchte, richtete sie den Blick auf die Menschen hinter den Kategorien „Geflüchtete“ oder „Migrierte“: „Ich würde alle bitten, diesen Menschen eine Chance zu geben, sie wirklich kennenzulernen. Nicht aus Mitleid, sondern auf der gleichen Höhe.“ Auch eine Besucherin der Eröffnungsveranstaltung betonte dies inbrünstig nach der Filmvorführung von La Noire de…: Egal welcher Herkunft oder Identität sich die Personen zuordnen, „es sind Menschen“. Mit diesem Appell, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen „und ja, dass es immer Hoffnung gibt“, schloss Helin Celik.

Neben berührenden Gesprächen und intensiven Filmerlebnissen wurde im Rahmenprogramm Wert auf den Einbezug des Publikums. Das ArchFem – Interdisziplinärer Raum für feministische Intervention hatte im Vorfeld des Filmfestivals das Material für eine Installation der besonderen Art vorbereitet: Filmzitate aus den ausgewählten Filmen zierten 6 verschiedene, als Filmrollen stilisierte Scheiben, welche durch ihre spezifische Gestaltung und Einkerbungen am Rand zu Skulpturen verbunden werden konnten. Hier waren die Besucher*innen aufgerufen, tätig zu werden und in Kontakt zu treten: mit jeder Eintrittskarte erhielten sie eine der beschriebenen Scheiben, die sie dann der bestehenden, wachsenden Skulptur im Foyer des Leokino hinzufügen konnten – ein Balanceakt, der nur in Auseinandersetzung mit und unter Berücksichtigung der Scheiben der anderen gelingen konnte.

Eine Auflockerung des filmreichen Programms verdanken wir der Musikerin Christine Abdel-Halim, die mit ihren feministischen, kritisch-humorvollen Texten das Publikum zum Lachen, aber sicher auch in einigen Punkten zum Nachdenken brachte. Die Poetry Slamerin Katrin ohne H (Katrin Rauch) reagierte in einem Text auf den Spielfilm „Peur de Rien“ (FR 2015) der Regisseurin Danielle Arbid und stimmte das Publikum wortgewandt auf den Film ein. Der musikalische und auch emotionale Abschluss des Festivalsamstages fand schließlich im Kater Noster statt. In ruhiger, gemütlicher Atmosphäre gab Noor Eli Khoury, syrische Musikerin und Sängerin aus Wien, ein Konzert, und rundete mit ihrem Gesang auf Englisch, Französisch und Arabisch das Festival ab.

Es sind Gedanken an die Kraft zivilgesellschaftlichen Engagements und an Hoffnung, die nach der diesjährigen Ausgabe des INNCONTRO Filmfestivals bleiben sollen. Denn was neben Kummer und Leid auf den Leinwänden des Kinos am stärksten hervortrat, war die unbändige Kraft und innere wie äußere Stärke der Protagonistinnen; der Mut, den sie zeigten, als sie sich auf ihre Reisen begaben. Ihre Strategien, Methoden und Fähigkeiten, den Widerständen zu trotzen und den eigenen Weg zu gehen, stets voller Würde, stets voller Hoffnung.


Fotografie: Alena Klinger | www.alenak.de