12. Oktober 2024 ab 14:00 Uhr in der Kulturbackstube, die Bäckerei, Dreiheiligenstraße 21a, Innsbruck
Früher zogen Jenische in kleinen Familienverbänden durch das Land, um den Sesshaften ihre Arbeitskraft und handwerklichen Fähigkeiten anzubieten. Als Menschen mit eigenen Lebensweisen, einer eigenen Sprache und eigenständigen kulturellen Traditionen waren sie eine soziokulturelle Minderheit, die schon früh diskriminiert und zur Sesshaftigkeit gezwungen werden sollten.
Im Nationalsozialismus wurden Jenische als sogenannte Asoziale verfolgt und ermordet. Doch auch nach 1945 bis in die jüngste Vergangenheit nahm die Unterdrückung und Gewalt kein Ende, etwa durch willkürliche Gefängnisstrafen oder Kindswegnahmen durch die Jugendwohlfahrt, bei der die ihren Familien entrissenen Kinder in anerkannten Institutionen systematisch gequält, geschlagen und erniedrigt wurden. Ein dunkles Kapitel der Geschichte der Jenischen, das bis Mitte der 1980er anhielt und bis heute weiterwirkt.
Die Jenischen Kulturtage wenden sich gegen das Vergessen und treten ein für die Sichtbarmachung der Jenischen Gegenwart und Vergangenheit sowie des Beitrags der Jenischen zur Tiroler Geschichte. Jenseits von herabwürdigender Stereotypisierung und der Romantisierung der fahrenden Lebensweise soll bei den Jenischen Kulturtagen ein realistischeres Bild der teils vergessenen und verschwiegenen, teils noch lebendigen Traditionen, Kultur und Lebensformen gezeichnet werden. In Gesprächen und Erzählungen über damals und heute, über Dokumente und Bilder, in Form von Musik und Handwerk.
So freuen wir uns ein weiteres Mal auf einen Tag voller eindrücklicher Begegnungen und regen Austausches!
Programm
14:00 Uhr Kaffee & Kuchen
15:00 Uhr Begrüßung
Mit Marco Buckovez, Verein Jenische in Österreich und Michael Haupt, Initiative Minderheiten Tirol
15:30 Uhr Gespräch mit Uschi Waser, Aktivistin, Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische
Von 1926-1973 nahm das sogenannte „Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“ der Pro Juventute in der Schweiz rund 600 Kindern ihren jenischen Eltern weg. Uschi Waser ist Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische, die sich für die Aufarbeitung der Geschichte und eine umfassendde Rehabilitierung der Betroffenen einsetzt. Als Aktivistin und Zeitzeugin kämpft sie gegen das Vergessen und für die Sichtbarmachung des Unrechts, dass an so vielen jenischen Kindern und Familien begangen wurde.
17:00 Uhr Vortrag mit Publikumsgespräch: Heimgeschichte(n) in Tirol
Systematische Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen standen bis in jüngerer Zeit auf der Tagesordnung in Heimen des Staates, der Länder und katholischer Orden in ganz Österreich. Davon waren auch zahlreiche Jenische betroffen. Mehr Informationen: www.heimkinder-reden.at
Vortrag von Horst Schreiber, Zeithistoriker, Leiter Michael-Gaismair-Gesellschaft, Wissenschaftsbüro Innsbruck und ERINNERN:AT
18:30 Uhr „Kneisesch?“ Erzählungen einer Reise
Marco Buckovez teilt Eindrücke und Geschichten von Begegnungen, Gesprächen und Erlebnissen auf seiner Reise mit dem Handkarren durch das Tiroler Oberland auf den Spuren seiner jenischen Vorfahren.
20:00 Uhr Konzert Counousse
Joseph „Counousse“ Mühlhauser ist ein jenischer Musiker, der sein Schwyzerörgeli virtuos beherrscht. Seine flinken Läufe sind berühmt (für die Zuhörer*innen) und berüchtigt (für seine Mitspieler*innen). Musik von Counousse überschreitet die traditionellen Grenzen: er spielt Tango, Jazz und vieles mehr. Immer mit dem Jenisch Zwick. Bereits drei Mal begeisterte Counousse das Publikum in der Bäckerei, nun freuen wir uns auf einen weiteren Auftritt beim diesjährigen Jenischen Kulturtag!