Impressionen 3. Jenischer Kulturtag

Zum ersten Mal veranstaltete die Initiative Minderheiten im Vorfeld zur Veranstaltung Film- und Gesprächsabende außerhalb Innsbrucks, in Telfs und Landeck etwa, um das Thema dort zu platzieren, wo tatsächlich Jenische leben und gelebt haben. Mit Unterstützung lokaler Persönlichkeiten wie Roman Spiss und Gerald Kurdoğlu Nitsche für Landeck und Stefan Dietrich in Telfs, wurden Bezüge zwischen der Vergangenheit von Jenischen und den Orten hergestellt werden und so ganz lokal die gemeinsame Geschichte verhandelt.

Neben Erzählungen von persönlich bekannten Familien und Personen, boten Gerald Kurdoğlu Nitsches literarische Beiträge aus seiner Sammlung an Lyrik und Prosa europäischer Wenigerheiten spannende Einblicke in die persönlichen (Diskriminierungs-)Erfahrungen Jenischer. Die Kenntnisse und Forschungen von Stefan Dietrich wiederum zeigten anhand von historischen Dokumenten die erschreckenden Auswirkungen abwertender Fremdbilder und ganz konkrete Schicksale einzelner, Jenischer Familien. Der im Anschluss an die Gespräche gezeigte Film „Unerhört Jenisch“ von Martina Rieder und Caroline Arn verstand es dann ganz hervorragend, die Stimmung einerseits durch die Reise durch die musikalischen Traditionen verschiedener Schweizer Jenischen Familien aufzulockern als auch das vorher Gehörte in den Schilderungen von eigenen Erfahrungen der Ausgrenzung, Verfolgung und Vorurteile zu bestätigen. Der Film kam auch bei der Vorführung im Innsbrucker Waltherpark in Kooperation mit dem Kulturverein Vogelweide sehr gut an und brachte wohl einige der anwesenden Besucher*innen zum Nachdenken und wohl auch Nachforschen über das Jenische in Tirol.

Am 13. Oktober war es dann schließlich so weit. Bei strahlendem Sonnenschein begann ein weiterer Jenischer Kulturtag und nach einem hervorragenden Mittagessen und begrüßenden Worten sowohl von Geschäftsführer Michael Haupt als auch Irene Heisz als Vorsitzende des Kulturausschusses begann der inhaltliche Teil des Tages. Ein ebenso unvorhergesehener wie schöner Programmpunkt war zuerst die Vorstellung des „Cinemarotls“ von Simon Guy Fässler und Andreas Müller aus der Schweiz, die mit ihrem Filmprojekt auf der Reise quer durch Europe Jenische Familien und Personen besuchen und dabei spontan einen Stopp beim Jenischen Kulturtag einlegten. In ihrem dokumentarisch angelegten Projekt verhandeln sie dabei auch ihre eigenen Erfahrungen beim Drehen, wie etwa misstrauisch- bis missbilligenden Haltungen oder herzliche Willkommen. Sie begleiteten den Kulturtag mit ihrer Kamera.

Offiziell ging es schließlich los mit dem Beitrag Willi Wottrengs. Mit vielen Bildern, Anekdoten und wichtigen Anregungen zeichnete er für das Publikum die Entwicklung und Organisierung der Schweizer Jenischen und der Radgenossenschaft der Landstraße nach und brachte dabei auch aktuelle Themen und Schwierigkeiten zur Sprache. Prosaisch ging es weiter mit der Lesung von Simone Schönett, die das Publikum mal entsetzt schweigen, angeregt diskutieren und andächtig nicken lies. In ihrem Roman „Andere Akkorde“ verfolgt sie die Idee einer Solidarisierung von Roma, Sinti und Jenischen über Ländergrenzen und ganz Europa hinweg – lies in der Lesung allerdings offen, welchen Ausgang die hochfliegenden Pläne der Protagonist*innen nehmen. Vor allem die Vielzahl an Identitätspositionen innerhalb der Gruppen sowie die Frage nach bewusstseinsschaffender Sprache und diskriminierenden Bezeichnungen wurde im Anschluss rege diskutiert. Anja Joos brachte sich im nächsten Programmpunkt mit ihren Forschungen zur Verbindung von Lebens- und Lernarrangements fahrender bzw. sesshafter Familien in Deutschland und der Schweiz an. In vielen Punkten trafen sich dabei einzelne Erfahrungen des Publikums mit Anja Joos Ausführungen und viele berichteten aus der eigenen Schulzeit oder der ihrer Kinder.

Zwischen den inhaltlichen Inputs durften wir uns dieses Jahr besonders über Mario Hein freuen, der in den zahlreichen Pausen die Stimmung mit seinem Spiel auf der Ziehorgel auflockerte und die Besucher*innen begeisterte. Schon als kleines Kind, als das Instrument noch fast größer war als er selbst greifen konnte, begann er zu musizieren und probiert sich neben klassischen Liedern auch immer wieder an neuen, nicht-traditionellen Melodien aus. Eine wahre Bereicherung für den Jenischen Kulturtag!

Zum inhaltlichen Abschluss trafen sich die Beitragenden des Nachmittags gemeinsam mit Michael Haupt, Heidi Schleich und Serge Borri für eine letzte gemeinsame Diskussion auf dem Podium wieder. Unter dem Banner „Jenische Selbstorganisation?“ wurden Meinungen, Berichte und Ideen ausgetauscht. Erstaunlicherweise wurde auch der Rückzug aus übergeordneten Organisationsstrukturen angesprochen und für einen Rückzug in kleinere, familiäre Bezüge plädiert. Gleichzeitig wurde klar, dass im politischen Anerkennungskampf oder bei dem Versuch, die Jenische Sprache zu stärken, eine Verbandsorganisation enorme Bedeutung innehält. Dabei wurde bedauert, dass viele gesellschaftliche Schlüsselpositionen, auf die eine Organisation zurückgreift, wie beispielsweise im Bereich der rechtlichen Vertretung, der öffentlichen Berichterstattung oder in der Wissenschaft, nicht von Jenischen selbst besetzt sind, sondern stets die Abhängigkeit von Menschen besteht, die vielleicht nur wenig bis gar keinen Bezug zur Jenischen Lebensweise, Kultur und vor allem den teils kollektiven, teils ganz persönlichen Erfahrungen von Verfolgung und Diskriminierung besitzen. Liegt das wiederum an den (Aus-)Bildungsbedingungen? Einig war sich das Podium jedoch, dass nicht-jenische Mitstreiter*innen wie Heidi Schleich oder auch Anja Joos, die in diesem Falle Wissenschaft in enger Zusammenarbeit und ständigem Austausch mit Jenischen betreiben, überaus wertvolle Partner*innen sind.

Abschließendes musikalisches Highlight war das Konzert von Joseph Counousse Mülhauser und Julia Rhomberg. Die zwei Musiker*innen lernten sich im vergangenen Jahr beim Zweiten Jenischen Kulturtag kennen und das gemeinsame Spielen im Anschluss an den offiziellen Teil des Kulturtages schätzen. In diesem Jahr traten sie schließlich zusammen auf und erfüllten die Bäckerei mit beschwingter Musik und Gesang in verschiedensten Sprachen. Doch an einer spontanen Musikeinlage fehlte es auch dieses Jahr nicht: Marco Buckovez hatte seine eigene Ziehorgel dabei und läutete kurzerhand eine Jam Session mit Counousse ein – so waren auch die Aufräumarbeiten musikalisch bestens untermalt!


Wir bedanken uns ganz herzlich bei dem Team der Bäckerei, der Familie Monz und Loui Hofstätter vom Spielraum Kochlokal für das Essen, Margit Leiner-Henry für die Unterstützung vor Ort und Irene Heisz für ihre begrüßenden Worte!

Fotografie: Alena Klinger | www.alenak.de


Den Bericht gibt es auch hier zum Download